Mann stehend mit Sakko vor grauem Hintergrund.
22. April 2020

Trendforscher Tristan Horx über die Coronakrise 

Im Interview spricht T. Horx über die Chancen für Gesellschaft und Umwelt, von denen wir nach der Krise profitieren können. 

Die Coronakrise hat viele negative Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Gibt es auch positive Effekte für uns bzw. für den Einzelnen?

Horx: Vor allem bei der gezwungenen, gemeinsamen Entschleunigung können wir ein paar positive Effekte sehen. Wir reden wieder miteinander, wenn auch eher telefonisch oder über digitale Medien. Kommunikation ist weniger transaktional und wieder emotional geworden. Man fragt auch einfach mal, wie es seinen Nächsten geht. Auch die Konsum-Entschleunigung tut uns gut. Wir merken auf einmal, dass wir auf Sachen verzichten können, ohne dass das Leben schlechter wird. Wir waren ja alle im Strudel der Beschleunigung und Überhitzung gefangen. Jetzt drücken wir alle zusammen auf den Pausenknopf. Dass hier, wenn auch gezwungenermaßen, Raum für Reflexion und Katharsis entsteht, können wir nützen, um nach der Krise auch etwas mehr zu hinterfragen: Was brauche ich wirklich, um glücklich zu sein?

Viele sprechen gerade von einem Umdenken der Gesellschaft. Welche Chancen bringt das für unsere Umwelt?

Die Coronakrise wird unseren ökologischen Wandel beschleunigen. Wir sehen jetzt bereits, dass unser Wirtschaftsmodell nicht nachhaltig war. Viele Länder nehmen jetzt die „Green Goals” wahr, wenn sie ihre Ökonomien wieder hochfahren. Jetzt ist die Chance, ein System aufzubauen, das wirklich nachhaltig ist. Aber auch wir als Individuen haben gelernt, was alles durch soziale Intelligenz möglich ist. Delphine schwimmen in Venedig, der Smog ist weg – sehr starke Sinnbilder, die zeigen, was möglich ist, wenn wir alle gemeinsam unser Verhalten ändern. In Zukunft werden wir natürlich nicht in der Askese der Krisenzeit leben, aber unser Verhalten wird sich doch nachhaltig verändert haben. Weil wir es an der eigenen Haut erlebt haben.

In den letzten Wochen haben Unternehmen gezeigt, wie rasch Adaptierungen umgesetzt werden können. Wie wird das Arbeitsleben nach Corona aussehen?

Mit mehr Flexibilität und Vertrauen. Das Home Office war vor der Krise kulturell in Unternehmen eher als glorifizierte Freizeit behandelt und von Chefs nicht wirklich gerne gesehen. Jetzt erleben auch die Führungsebenen einen Kontrollverlust in Bezug auf die Arbeitszeiten, und siehe da, es wird trotzdem zuhause produktiv gearbeitet. Gleichzeitig vermissen wir aber auch unsere Kollegen und kreative Meetings gemeinsam. Es wird uns nochmal klar, dass das Office auch ein sozialer Raum ist, nicht nur ein Arbeitsgefängnis. Somit ist durch die Coronakrise das Home Office nun endlich auch in der Firmenkultur Realität geworden. Mehr Eigenverantwortung für alle, mehr Digitalmeetings und dafür mehr Zeit für sozialen Austausch im Büro. Das war schon längst überfällig. Willkommen im 21. Jahrhundert!

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